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Samstag, 20.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Kunst am Bau für alle

Sieht man von letzten Problemen mit dem Kautschuk-Bodenbelag ab, wurde gestern mit der Präsentation der Installationen “delete” von lab binaer und “Echo” von Felix Weinold die Neue Stadtbücherei baulich vollendet.

“Echo” und “delete”: Einladungskarte zur Enthüllung der Kunst am Bau

Klangelektronisch umrahmt von ELKON (S. Giussani, T. Grewenig, Y. Kim, M. Krejci) und anmoderiert von der Lyrikerin Lydia Daher präsentierten der Künstler Felix Weinold und das Medienkunstkollektiv lab binaer ihre Arbeiten, mit denen sie als Sieger aus der Ausschreibung “Kunst am Bau” für die Neue Stadtbücherei hervorgegangen waren. Dr. Thomas Elsen, Museumsleiter des H2 Zentrums für Gegenwartskunst im Glaspalast, bescheinigte in seiner Laudatio beiden Arbeiten hohe Kreativität, eine “sehr raffinierte Art, mit der Situation umgegangen zu sein” sowie die Auseinandersetzung mit der Vermittlung von Wissen und dem möglicherweise wieder Vergessen.

“Ist nicht ein Knopf auch ein Angebot, ihn nicht zu drücken?”

Wer liest der löscht: "delete" von lab binaer

Wer liest, der löscht:"delete" von lab binaer


“Delete” von lab binaer, vor der Stadtbücherei platziert, ist eine mehrere Hundert Kilogramm schwere Stele aus Stahl und Glas mit einem riesigen Display. Im Kunstwerk eingespeichert ist die gesamte Wikipedia-Enzyklopädie, die durch Drücken eines roten Knopfes Stück für Stück abgerufen werden kann. Allerdings ist der Knopf mit “Delete” beschriftet und das Erwartete passiert: wer liest, löscht gleichzeitig das Gelesene. Dass dieser Ansatz destruktiv sei und die Betrachter zum Löschen auffordere, will Martin Spengler, einer der drei lab binaer-Künstler, allerdings nicht gelten lassen: “Ist nicht ein Knopf auch ein Angebot, ihn nicht zu drücken?”

“Zustimmung, weil sie unsichtbar ist”

Felix Weinold schilderte die Probleme, die er bei der Platzierung seines Werks “Echo” als Kunst “am Bau” hatte: Boden, Wände und Decken der Bücherei seien aus technischen Gründen tabu gewesen. Lernen habe er außerdem müssen, dass “alle Architekten auch Künstler” sind. Weinold wurde schnell klar: “Ich darf das Gesamtkunstwerk nicht verändern”. Deswegen setzte er eine Idee um, die “beim Architekten vollständige Zustimmung gefunden hat, weil sie unsichtbar ist”: Weiße Braille-Schrift auf einem weißen Geländer.

Fast unsichtbar: das 25 Meter lange Braille-Schriftband "Echo" auf dem Geländer im 1. Stock

Fast unsichtbar: das 25 Meter lange Braille-Schriftband "Echo" auf dem Geländer im 1. Obergeschoss


Wer die nach Louis Braille benannte Blindenschrift lesen kann, bekommt auf dem 25 Meter langen Umgang im ersten Stock der Bücherei das Kapitel “Regen” aus dem Buch “Im Dunkeln sehen” präsentiert. In dem Buch beschreibt der Oxford-Professor John M. Hull beeindruckend seinen dreijährigen Kampf um sein Augenlicht, den er letztlich verloren hat. Im Kapitel “Regen” geht er, bereits blind, hinaus auf seine Terrasse. Es regnet leicht und er hört die Geräusche des Regens auf den unterschiedlichen Oberflächen. Und plötzlich kann er die Umgebung “sehen”. Das war so beeindruckend beschrieben, so Weinold, dass er John Hull kontaktierte und um Erlaubnis fragte, das Kapitel für sein Werk verwenden zu dürfen. Aus dem anfänglichen Mailkontakt entwickelte sich ein persönlicher: Professor John M. Hull war gestern zusammen mit seiner Frau Ehrengast in der Neuen Stadtbücherei.