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Donnerstag, 21.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Fußball hat die Kraft zu versöhnen“

Richard Goerlich hat sich für das Kulturprogramm rund um die Frauen-WM viel vorgenommen

Von Frank Heindl

Pathetisch oder doch leicht ironisch? Auf jeden Fall mit Anspruch! Die Titelseite des Programmheftes zur „Kultur-WM“.

Pathetisch oder doch leicht ironisch? Auf jeden Fall mit Anspruch! Die Titelseite des Programmheftes zur „Kultur-WM“.


Fast scheint es, Richard Goerlich habe nun plötzlich Angst bekommen vor der eigenen Courage: Mehrmals betont der Augsburger Beauftragte für Popkultur und Chef des Kulturprogramms rund um die Frauenfußball-WM, er wolle keine Vorschusslorbeeren kassieren, sein Konzept müsse sich in der Praxis bewähren, Fehler könnten vorkommen, Pannen passieren … Doch nun steht das Programm: Zwar ist es noch nicht gedruckt, doch die Presse bekam bereits Vorab-Exemplare. Und jeder kann schon am Titelbild sehen: Goerlich hat sich hohe Ziele gesteckt.

Bevor es zur Präsentation des Programmheftes ging (ab kommenden Montag soll es nicht nur in Augsburg, sondern in ganz Bayern ausliegen) hatte Goerlich den im Augsburger Cinemaxx-Kino versammelten Medienleuten auf der Leinwand einen kleinen „Doppel-Trailer“ gezeigt: Trailer einerseits zu Goerlichs Kulturprogramm, Trailer aber zunächst einmal zu dem Film „The two Escobars“ der Brüder Jeff und Michael Zimbalist – er lief im vergangenen Jahr mit großem Erfolg bei den Filmfestspielen in Cannes. In mitreißenden Bildern und knallhartem Schnitt zeigt der Film die unselige Verquickung von Fußball, Politik und Kokainmafia im Kolumbien der 90er-Jahre vor allem am Beispiel von Pablo Escobar, dem Drogenbaron, und Andrés Escobar, dem Fußballspieler. Letzterer, nicht verwandt mit dem Drogenboss, wurde nach einem Eigentor in der WM-Vorrunde von unbekannten Tätern erschossen. Mit dem Trailer will Goerlich „sein“ Sport- und Kultur-Festival „im Themenraster Fußball und Frieden“ positionieren: „City of Peace“ heißt das Programm, doch Goerlich will den anspruchsvollen Titel nicht wieder mal auf Westfälischen und Religionsfrieden beziehen – sondern auf die Gegenwart, auf Krieg und Gewalt und Sport.

„Man darf das durchaus auch ironisch sehen“

Peace-Cup: „Straßenfußball für Toleranz“ soll es anlässlich der Frauen-WM auch in Augsburg geben – Fußball soll dabei seine Versöhnungskraft entfalten.

Peace-Cup: „Straßenfußball für Toleranz“ soll es anlässlich der Frauen-WM auch in Augsburg geben – Fußball soll dabei seine Versöhnungskraft entfalten.


Nun also war’s Zeit für das Programmheft, und das hängt Goerlichs Ansprüche nicht eben tiefer, sondern stellt sie noch viel plakativer heraus: Keine hübschen Fußballerinnen zieren das Titelbild, kein Ball, kein Rasen, überhaupt kein Foto – sondern ein fast schon dogmatischer Satz, der in fetten Lettern schwarz auf weißem Grund mit einem geradezu biblischen-inbrünstigen Argument zum Kulturprogramm wie zum Fußball einlädt: „Geh hin und du wirst ein besserer Mensch“. Man dürfe das durchaus „auch ironisch sehen“ – auch hier macht Goerlich einen vorsichtigen Schritt seitwärts, aber er rückt auch nicht wirklich von seinem Postulat ab.

Hehre Ansprüche müssen mit viel Inhalt gefüllt werden – sonst blamieren sie den Erfinder. Wenn gelingt, was Goerlich und sein Team sich vorgenommen haben, und wenn es dann auch noch vom Publikum angenommen wird – dann haben sie wahrhaftig viel erreicht. Mitten hinein ins Problemfeld Gewalt versus Fußball zielt etwas der „Peace Cup“: Initiativen aus aller Welt, die den Fußball als pädagogisches Vehikel benutzen, sind nach Augsburg eingeladen. „Straßenfußball für Toleranz“ nennt sich deren Konzept: Es gibt keine Schiedsrichter – die Kids müssen ihre Fouls und Probleme selber lösen. Und Mädchentore zählen doppelt, sprich: Kooperation mit dem anderen Geschlecht zahlt sich aus, ein gelungener Pass zur Mittelstürmerin kann zwei Punkte sichern. Projektmitglieder aus einigen Ländern kommen im Vorfeld der WM nach Augsburg und geben ihre Erfahrungen an die Augsburger Jugendhäuser weiter.

830.000 Euro kostet das Kulturprogramm

Bayerisch-Schwaben grüßt die Welt: Am 24. Juni marschieren 600 Musiker und Trachtler zum Rathausplatz. Und wer hingeht, wird womöglich ein besserer Mensch.

Bayerisch-Schwaben grüßt die Welt: Am 24. Juni marschieren 600 Musiker und Trachtler zum Rathausplatz. Und wer hingeht, wird womöglich ein besserer Mensch.


Daneben zeigt beispielsweise ein „Ballmacher“ aus Ruanda, wie man aus Plastikabfällen Fußbälle herstellt, berichten Fußballer aus aller Welt, wie die Konflikte in ihren Heimatländern in den Sport „hineinspielen“. Anschließend treten Mannschaften aus Ruanda, Israel/Palästina, Kambodscha, dem ehemaligen Jugoslawien und Teams des Augsburger Stadtjugendrings gegeneinander um den „Peace Cup“ an: Fußball, so Goerlichs Credo, habe „die Kraft zu versöhnen.“

Dass das Ganze in einem eigens für die WM erbauten, großen „Kulturstadion“ mitten auf dem ehrwürdigen Rathausplatz stattfindet, ist also nur bei oberflächlicher Betrachtung eine wichtige Nachricht. Wichtiger ist, was darin stattfindet, was aus den 830.000 Euro wird, die das Kulturspektakel kosten wird – ca. 300.000 Euro kommen von Sponsoren, den Rest steuert die Stadt bei. Organisatorisch war das alles nicht allein vom WM-Büro zu schultern. Teile des musikalischen Programms kommen so zum Beispiel vom Festival der Kulturen. Timo Köster vom Friedensbüro freut sich vor allem über „Taraf de Haidouks“, eine Gypsy-Band von enormer Kraft und Eigentümlichkeit, die im Kulturstadion zu hören sein wird. Die Band kommt am 8. Juli zusammen mit dem Kocani Orkestar – 20 Musiker werden, so Köster, „das Beste bieten, was im Gypsy Brass derzeit unterwegs ist.“

Beethoven und Schiller am Schluss – und alle Menschen werden Brüder

Alles ist hier nicht aufzählbar, was Goerlichs Leute sich ausgedacht haben. Ute Legners „Mehr Musik“-Initiative ist ebenso dabei wie die experimentellen Künstler des „lab binaer“, S’Ensemble-Theater und Modularfestival steuern eigene Aktivitäten und Veranstaltungen bei, das Stadttheater zeigt auf der Freilichtbühne seine „Abseitsfalle“. Und am Schluss soll alles in ein riesengroßes Finale münden – auch da ist die Symbolik überdeutlich, geradezu übermächtig: 450 Musiker werden sich am Tag des Viertelfinales – an dem die Frauenfußball-WM für Augsburg endet – im Kulturstadion einfinden. 350 Sänger und Sängerinnen sowie das türkische „Pera Ensemble“ und die „Hamburg Klezmer Band“ werden die verschiedenen Religionen vertreten. Zunächst wird der vierte Satz aus Beethovens 9. Sinfonie ertönen: Die großartige und mächtige Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“ mit ihrem vielzitierten Satz „Alle Menschen werden Brüder“ ist der Ausgangspunkt für eine Verbindung der verschiedenen Musikrichtungen, die am Schluss in ein Werk des international bekannten Komponisten Enjott Schneider münden. „Salaam – Friedenssinfonie“ ist der Titel des Werks, das die Stadt Augsburg bei Schneider in Auftrag gegeben hat. Wenn dessen Töne verklungen sind, wird Richard Goerlich zu resümieren haben, ob er zu viele, zu wenige oder genau die richtige Menge an Vorschusslorbeeren kassiert hat.