DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Dienstag, 19.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Und nun das entideologisierte Werk?

Kommentar von Siegfried Zagler

Die große Publikumsresonanz hat die Erwartungen der Festivalleitung mehr als übertroffen. „Besonders freue ich mich, dass die schwierige Frage ‚Wie halten Sie’s mit der Politik?’ so gut vom Augsburger Publikum aufgenommen wurde“, erklärte der Künstlerische Leiter Dr. Joachim A. Lang. „Das beweist, dass Brechts Heimatstadt reif für eine ernste Auseinandersetzung mit ihrem großen Sohn ist. Wir haben mit der Trilogie die Grundlagen für noch weiterreichende Möglichkeiten geschaffen. Die sehr große und positive überregionale Resonanz mit Beiträgen zum Beispiel in der Tagesschau, dem Nachtmagazin der ARD, der Nachtlinie des BR aber auch in den Printmedien wie Welt und Süddeutsche Zeitung zeigt, wie stark das Festival gerade auch außerhalb der Stadt wahrgenommen wird.

Mit dieser Pressemeldung ging am 13. Februar, also einen Tag nach der Veranstaltung, die Festivalleitung an die Öffentlichkeit. Die städtischen Brecht-Fahnen waren noch nicht eingeholt, das Rathaus noch nicht aufgeräumt, als diese erste Erfolgsbehauptung der Festivalleitung gestreut wurde. 9.000 Besucher bei einer Auslastungskapazität von 90 Prozent wurden als großer Erfolg erklärt. Die Anzahl der Besucher ist kein unwichtiger Faktor in der Bewertung eines Festivals. In Augsburg scheint es nichts wichtigeres als diese Zahlen zu geben (neben der überregionalen Wahrnehmung), was mit dem politischen Motto des Kulturreferenten zu haben könnte („Kultur für alle“), mit der inhaltlichen Zielvorgabe des Festivals („Brecht den Augsburgern näher bringen“) und mit dem kulturellen Klima in der Stadt, das von der Augsburger Allgemeinen nicht nur reflektiert, sondern auch entwickelt und gepflegt wird. Beispiel? Gerne: Als es im Vorfeld des dritten Brecht-Festivals darum ging, ob man den Vertrag von Festivalleiter Lang verlängern solle, titelte Richard Mayr „Lang verlängern!“ und schob in seinem Kommentar als Begründung kaum mehr als die Besucherzahlen der vergangenen beiden Festivals hinterher.

So gesehen macht die schnell gestreute Besucherzahl von 9.000 als Erfolgsbehauptung Sinn, denn nur an den Zahlen lässt sich der Erfolg der kulturpolitischen Vorstellungen von Peter Grab und Joachim Lang messen. „Kultur für alle“ kann man zum Beispiel als gescheitert erklären, wenn man die Besucher zu einem intensiv beworbenen städtischen Festival mit Freikarten und Gratisveranstaltungen tragen muss. Das Gleiche gilt für das Festival-Motto „Brecht den Augsburgern näher bringen“.

Alles wird reflexartig zum Erfolg erklärt

8.500 Besucher sollen es dann doch angeblich gewesen sein, davon haben 4.500 keinen Eintritt bezahlt. Für Peter Grab sind diese Zahlen „den Umständen entsprechend hervorragend“. Das überrascht nicht. In Peter Grabs politischer Welt wird alles reflexartig zum Erfolg erklärt. Trotzdem: welche Umstände? Die Kältewelle während des Festivals? Die Absage Marianne Faithfulls oder das „sperrige Thema Brecht und die Politik?“ Oder möglicherweise das künstlerisch insgesamt niederschwellige Programm mit jährlich wiederkehrenden Behauptungen, Gesichtern und identischen Formaten?

4.032 Besucher sollen Eintritt bezahlt haben. Hätte man 6 Wochen nach dem Brechtfestival im Kulturausschuss differenziertere Zahlen erhalten, könnte man die zahlenden Besucher der Veranstaltungen mit Ton Steine Scherben Familiy, Peter Licht, Meret Becker und den beiden Slams davon abziehen, da diese Formate wenig bis nichts mit Brecht zu tun haben und selbstverständlich auch ohne „Brecht-Kontext“ sehr gut besucht werden würden. Übrig blieben erstaunlich wenig Menschen, die sich mit Bertolt Brecht im Rahmen des diesjährigen Festivals auseinandergesetzt haben. Kurzum: die Zahlen sind eine Katastrophe. In Sachen „neue Brecht-Rezeption“ konnte Lang die Ebene der Behauptung nie verlassen und nun fehlt ein seriöser Unterbau für seine nette These, dass er Brecht den Augsburgern näher gebracht habe. Weder wurden im Brecht-Shop in den zurückliegenden Jahren mehr „Brecht-Bücher“ verkauft, noch wurde in der Stadtbücherei mehr Brecht ausgeliehen. Die Besucherzahlen des Brecht-Museums lassen keine signifikante Zunahme erkennen und nähren somit die Einsicht, dass der Einfall, man könne Brecht als universalen Gesellschaftskritiker der Stadtgesellschaft näher bringen, nun nicht mal als Marketing-Idee funktioniert hat.

Das Kunststück fertig gebracht, die Augsburger mit Brecht zu langweilen

Woran lässt sich Erfolg messen? Zuvorderst an den künstlerischen Leistungen. Hätte man in Augsburg dieses Jahr ein Brechtfestival gehabt, das in hohem Maße künstlerisch überzeugt hätte, wäre kein Mensch auf den Gedanken gekommen, evaluieren zu müssen – und man hätte sich natürlich nicht so akribisch für die Besucherzahlen interessieren müssen. Fazit: Lang hat mit seinem Festival den Augsburgern „ihren“ Brecht nicht näher gebracht, sondern das Kunststück fertiggebracht, sie mit Brecht zu langweilen. Die geringe Anzahl der zahlenden Zuschauer, die auf dem zurückliegenden Brecht-Festival Veranstaltungen besuchten, die mit Brecht etwas zu tun hatten, ist dafür ein Indiz.

Schwerer als das beliebige und visionslose Programm ist in Sachen Brechtfestival nur noch der Festivalleiter selbst zu ertragen. Joachim Langs missionarischer Eifer, in Augsburg ein neues Brechtbild mit der Systematik eines esoterischen Heilsbringers zu implementieren, mag zwar bei den Augsburgern abgeperlt sein, bei den maßgeblichen Kulturpolitikern der beiden großen Parteien konnte er sich damit merkwürdigerweise durchsetzen. Nachdem es dieses Jahr mit „Brecht und die Politik“ laut Lang „ans Eingemachte“ ging, konnte man am Montag im Kulturausschuss von Lang erfahren, dass die bisherige Trilogie der Brechtfestival die Grundlage gebildet habe, um an den Kern Brechts vorzudringen, an sein Werk.

Und nun also das entideologisierte Werk!? Wer dergestalt ein „Konzept“ begründet (ein Konzept, das keines ist), ist als Festivalleiter nicht ernst zu nehmen. Dass Lang möglicherweise dennoch für weitere drei Jahre vom Stadtrat den Zuschlag für seine Brecht-Reihe erhalten wird, belegt den verwahrlosten Zustand der Augsburger Kulturpolitik. Bei der regierenden CSU hat man sich in Sachen Brecht an einiges gewöhnt und kann deshalb diese Blindheit als angeboren, also mit Nachsicht und sogar mit Verständnis zur Kenntnis nehmen. Bei der SPD kann man darüber nur den Kopf schütteln. Die Finanzierung ist unklar, Langs neues Konzept liest sich wie ein Schüleraufsatz und die SPD steht dazu, statt Alarm zu schlagen. Ein trostloseres Bild kann eine Oppositionspartei kaum abgeben.

» Die komplette Konzeption des Brecht-Festivals 2013-2015 (pdf, 37 kB)