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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Noch dreimal „Operation Big Week“

Ein Gespräch mit Regisseur Hans-Werner Kroesinger

Von Frank Heindl

Noch dreimal ist in der Augsburger Brechtbühne „Operation Big Week“ zu sehen, ein Dokumentarstück über die „Augsburger Bombennacht“, das Regisseur Hans-Werner Kroesinger und Mitglieder des Augsburger Schauspiel-Ensembles gemeinsam recherchiert haben (DAZ berichtete). Nahezu letzte Gelegenheit also, das Stück noch zu sehen, letzte Gelegenheit auch, verspätet, aber dennoch über ein Gespräch zu berichten, das die DAZ am Tag vor der Premiere mit Kroesinger führte.

Operation Big Week: Hans-Werner Kroesinger definiert sein Theater den geschlossenen ästhetischen Raum, in dem konzentriert nachgedacht wird und die Kompetenz erweitert wird für das „was um einen rum vor sich geht“ (Foto: A.T. Schaefer).

Operation Big Week: Hans-Werner Kroesinger definiert sein Theater als geschlossenen ästhetischen Raum, in dem konzentriert nachgedacht wird und die Kompetenz erweitert wird für das, „was um einen rum vor sich geht“ (Foto: A.T. Schaefer).


Um das Thema „Opfer“ sollte es im Gespräch gehen mit dem Regisseur, der deutschlandweit als der Experte für dokumentarisches Theater gilt und der in mannigfaltigen, teilweise internationalen Projekten mindestens ebenso sehr Forscher wie Theatermann ist. Über den Kosovokonflikt beispielsweise hat er ebenso ein Stück gemacht wie über den Völkermord an den Hutu in Ruanda. Doch sich mit Kroesinger auf nur ein Thema zu beschränken, erweist sich schnell als nahezu unmöglich. Zu schnell und zu assoziativ springen seine Gedanken hin und her zwischen vergangenen Projekten, zukünftigen Plänen und dem Augsburger Thema, zwischen Theater und Wirklichkeit und ihrer Verbindung auf der Bühne.

Als Negativbeispiel für den Umgang mit Geschichte und die Unterscheidung zwischen Täter und Opfer erwähnt Kroesinger das 2002 erschienen Buch „Brand“ von Jörg Friedrich. Der Autor habe sich nur für Leid und Opfer interessiert, nicht für die Ursachen. Ihm, Kroesinger, gehe es mit „Operation Big Week“ nicht darum, „einen Täter-Opfer-Diskurs aufzumachen“, aber ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema müsse „nicht nur zeigen, was geschehen ist, sondern auch, warum und aus welcher Motivation es geschehen ist.“

In historischen Situationen Entscheidungen treffen

Menschen, so Kroesinger, treffen „in einer bestimmten historischen Situation Entscheidungen.“ Im speziellen Fall des Bombardements von Augsburg bezieht sich diese Feststellung auf die Deutschen, die nicht nur einen Krieg vorbereitet hatten, sondern auch dessen Auswirkungen zu planen versuchten und genau wussten, dass Bomben fallen würden. Doch ebenso bezieht Kroesinger auch die „andere Seite“ in seine Analyse mit ein: Zum Beispiel die Engländer, die als „Angreifer“ gleichzeitig „Opfer“ wurden und waren: Ihre Luftwaffe hatte im Zweiten Weltkrieg die höchste Verlustquote ihrer Waffengattungen, von den Crew-Mitgliedern (normalerweise zwischen 19 und 23 Jahre alt) überlebten nur zehn Prozent die 30 Pflichteinsätze. Nicht verwunderlich also, dass man in England auch heute noch „einen riesen Respekt“ vor der Luftwaffe habe. Vor Menschen also, die auch dort „in einer historischen Situation Entscheidungen“ zu treffen hatten.

„Geschichte passiert nicht einfach“ – das ist ein weiterer Fixpunkt in Kroesingers Überlegungen. Immer sei es so, dass sich bestimmte Entwicklungen und Geschehnisse schon vorher „in einer Gesellschaft abzeichnen“. Der Regisseur kann das wortreich am ruandischen Völkermord erklären – sein Augsburger Stück zeigt es an der Bombennacht. In der Tat machen die vom Regisseur und den Schauspielern zu Tage geförderten Dokumente klar, dass Bombenangriffe der Kriegsgegner sozusagen „mit eingeplant“ waren in die Kriegsführung der Nazis – das ist einer der Aspekte, die der Zuschauer erkennen soll. „Theater eignet sich wunderbar dafür, so etwas darzustellen“, sagt Kroesinger: „Das Theater ist der Ort, wo Sie beteiligt sind am Denken, ein geschlossener Raum, wo sich Theaterleute und Publikum auf einen Gegenstand konzentrieren und dabei Interaktion erzeugen. Sie haben eine großartige Form von Energie und Konzentration, eine verblüffende Spannung und daraus entstehend einen sinnlichen und intellektuellen Genuss.“

Wahrnehmung schaffen

Geht es also ums Lernen in Kroesingers Theater? „Zunächst mal wollen wir mit einem ästhetischen Verfahren erreichen, dass Sie die Welt genauer wahrnehmen. Denn darum geht es im Theater: Wahrnehmung zu schaffen!“ Kroesinger wird geradezu enthusiastisch an dieser Stelle, doch sofort schränkt er sich wieder ein, bezieht die andere Seite, die Gegenpole, die mögliche Kritik in seine Gedanken ein: „Natürlich ist es anmaßend, was wir da tun. Natürlich haben wir die Bombennacht nicht erlebt, natürlich waren wir nicht dabei. Aber wir legitimieren unsere Stellungnahmen durch die Zeit und die Energie, die wir in das Stück gesteckt haben im Bemühen, die Wahrnehmung zu schärfen.“ Das Ergebnis dieser Bemühungen könnte sein, „dass man kompetenter wird für das, was um einen rum vor sich geht.“ Und was geht vor, derzeit? So kommen wir schließlich, ganz am Ende, doch noch einmal zum Thema Opfer: „Das gilt ja zurzeit als das schlimmste Schimpfwort: du Opfer! – Und das ist schlimm: Man ist lieber Täter als Opfer, man verachtet das Opfer, und dadurch verschwindet eine Form von Empathie!“

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Operation Big Week ist noch an drei Terminen in der Brechtbühne zu erleben:

  • Freitag, 28. März, 19.30 Uhr mit anschließendem Publikumsgespräch, sowie
  • Mittwoch, 16. April, 19.30 Uhr
  • Samstag, 3. Mai, 19.30 Uhr.